Interview mit Krankenhauspfarrerin Petra Meyer
Wie gestaltet sich die tägliche Arbeit einer Pfarrerin in einem psychiatrischen Krankenhaus?
Meine 22 Stationen besuche ich, wenn ich gerufen werde. Wir können es inzwischen nicht mehr leisten, die Stationen flächendeckend abzulaufen. Wenn mich Patientinnen und Patienten selbst anrufen oder mir Pflegekräfte Bescheid sagen, dann komme ich zu den betreffenden Personen. Dann ergibt es sich natürlich oft, dass jemand anders sagt: „Kann ich auch mal mit Ihnen sprechen?“ Außerdem kommt ab und zu vor, dass auch Klinikpersonal für sich selbst um ein Gespräch bittet, aber die haben meist nicht viel Zeit; dies sind dann mehr „Tür-und-Angel-Gespräche“.
Daneben gibt es noch die Neurologie, wo ich auch Palliativ-Begleitung mache. Da gibt es öfter den Wunsch nach Angehörigen-Gesprächen, insbesondere wenn die Patientinnen und Patienten selber nicht mehr in der Lage sind zu reden. Für die Angehörigen ist es dann oft wichtig, das, was sie beschäftigt, oder auch die Entscheidung, die sie treffen müssen, mit jemandem reflektieren zu können.
Ein weiterer Schwerpunkt sind natürlich die Gottesdienste. In der Kapelle finden sie jeweils sonntagabends statt, im Besucherraum der Forensik im Hochsicherheitstrakt etwa alle zwei Monate. Da muss der Sicherheitsdienst dann die Patienten hinbringen und wir sind die ganze Zeit unter Video-Überwachung. In Sankt Raphael haben wir immer wieder ökumenische Gottesdienste zu den Festzeiten (Weihnachten, Ostern, Pfingsten), aber auch am Buß- und Bettag oder zum Jahreswechsel. Nicht so häufig, aber doch ein paar Mal im Jahr kommt es zu Gedenkfeiern, wenn Patienten versterben. Das hatten wir letztes Jahr zum Beispiel zweimal auf einer Forensik-Station. Es ist dann auch wichtig für die Mitpatienten, die ja nicht rausgehen dürfen, dass sie in irgendeiner Form Abschied nehmen können; auch die multiprofessionellen Teams sind dann dabei. Größere Gedenkfeiern gibt es in den Kirchen, wenn – wie es immer wieder vorkommt – vom Klinikpersonal jemand stirbt, so wie letztes Jahr zum Beispiel der Leiter der Apotheke.
Vereinzelt gehören auch sog. Kasualien dazu. Ich betreue derzeit einen Patienten, der getauft werden will. Auch von Seiten des Klinikpersonals gab es schon Taufwünsche, die Bitte um eine Trauung oder um die Beerdigung von Verwandten.
Büroarbeit gehört auch dazu. Das ist auch ganz gut, weil man ja nicht ein Gespräch am anderen führen kann. Die ökumenischen Dienstbesprechungen alle zwei Wochen sind uns sehr wichtig, damit wir die Arbeit abstimmen können. Wir arbeiten hier wirklich sehr gut ökumenisch miteinander. Das soll unbedingt auch in Zukunft so bleiben.
Außerdem ist das Ethikkomitee dazu gekommen. Es wurde im Mai letzten Jahres gegründet und ich wurde als Vertreterin des Seelsorgeteams dazu gebeten. Die Aufgabe hat mich auch gereizt, obwohl es ein ordentlicher Posten Arbeit geworden ist. Die Tätigkeit dieses Gremiums besteht in der beratenden Unterstützung der Stationen. Wenn von einer Station eine Anfrage kommt, dann gehen zwei oder drei Mitglieder dorthin – es umfasst insgesamt zehn Personen – und klären in einem moderierten Gespräch mit einem vorgegebenen Fragenkatalog mit dem Klinikpersonal, ob z.B. eine Änderung der Therapieziele von kurativ zu palliativ vorgenommen werden soll, ob ein Patient eine Magensonde bekommen soll, ob jemand entlassen werden kann oder zwangsbehandelt werden muss und vieles mehr.
In welchem Umfang werden die Angebote der kirchlichen Seelsorge von den Patienten angenommen?
Das lässt sich in Zahlen gar nicht so leicht sagen und ist in den verschiedenen Bereichen unterschiedlich. Bei den Palliativ-Begleitungen nehmen ca. 15 % die Seelsorge in Anspruch, dort ist unsere Begleitung auch sehr intensiv, auf den gerontopsychiatrischen Stationen gibt es viele Personen mit Demenz, die das Angebot gar nicht mehr verstehen und wahrnehmen können. Aber auf der offenen Station in der Gerontopsychiatrie ist öfter Bedarf, auch weil es da viele Trauerfälle gibt. In der Forensik sind es ca. 5 % der Patienten. Aber die sind auch nicht immer an kirchlichen oder Glaubensthemen interessiert, sondern häufiger daran, mit mir rausgehen zu können oder sich ihren Frust über die Forensik von der Seele zu reden. Ca. 80 % der Patienten erreichen wir bei den Gedenkfeiern auf Station. Da kommen tatsächlich fast alle, da ist es allen wichtig ist – auch den Kirchenfernen –, dass etwas Würdiges gestaltet wird für den verstorbenen Mitpatienten.
Was hat sich im Laufe dieser 20 Jahre verändert und zwar in der Klinik, der Ökumene und mit Blick auf die Evangelisch-Lutherische Kirche?
In der Klinik hat sich zum einen der Name dauernd geändert. Angefangen habe ich noch im „Bezirkskrankenhaus Haar“, wie die Klinik Jahrzehnte hieß. Inzwischen sind wir bei „kbo Isar- Amper- Klinikum Region München“. Auch das Gelände hat sich sehr geändert, ursprünglich hatten wir ja ein Riesengebiet, aber der eine Teil ist ja bekanntlich verkauft worden, so dass die Klinik flächenmäßig doch deutlich geschrumpft ist.
Neue Arbeitsfelder sind dazu gekommen, das habe ich vorhin schon erwähnt, Neurologie, Palliativmedizin und Ethik zum Beispiel. Dann das Thema der Aufarbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus in der Klinik. Da war man anfangs noch sehr zurückhaltend, aber für den gegenwärtigen ärztlichen Direktor Herrn Prof. Dr. Brieger ist es eine Herzensangelegenheit und hat dadurch jetzt ganz andere Dimensionen hier im Haus angenommen.
Die Patienten und Patientinnen sind zum Teil kränker geworden, durch die Änderung der Rechtslage können sie ja nicht mehr so leicht gegen ihren Willen medikamentös behandelt werden. Das merkt man schon deutlich auf den Stationen, was es auch schwerer macht, als Seelsorgerin mit ihnen in Kontakt zu kommen. Die Anzahl der Tageskliniken hat deutlich zugenommen, man versucht immer mehr, die Menschen nicht über Wochen aus ihrem gewohnten Umfeld heraus zu reißen, sondern nur kurze Zeit hier zu behandeln und sie dann in ein tagklinisches Setting zu bringen.
Die ökumenische Zusammenarbeit hier war von Anfang an sehr gut, sie ist auch unverzichtbar in einer Klinik wie dieser. Vor 20 Jahren waren wir allerdings noch gut bestückt mit zwei Vollzeit-Kollegen bzw. Kolleginnen in der katholischen Seelsorge und wir als evangelische Seelsorge mit anderthalb Stellen. Inzwischen ist eine katholische Stelle komplett gestrichen und die halbe evangelische Stelle auf 16 Wochenstunden reduziert worden. Derzeit ist die eine katholische Seelsorgestelle, die es noch gibt, nicht besetzt.
Zu Beginn meiner Zeit hier hat die Klinikstelle ja als dritte Pfarrstelle zur Jesuskirche gehört. Vor drei Jahren hat die evangelische Landeskirche per Federstrich beschlossen, dass alle Klinik-Seelsorgestellen aus den Gemeinden ausgegliedert werden, was schade ist. Ich gehöre jetzt zu den Evangelischen Diensten im Dekanat München. Schön ist aber, dass der Kirchenvorstand der Jesuskirche beschlossen hat, dass es trotzdem weiter eine enge Zusammenarbeit geben soll. Das halte ich auch für wichtig, weil ja auch Menschen, die hier arbeiten, gleichzeitig Mitglieder der Jesuskirchengemeinde sind oder auch viele Forensik-Patienten in Haar gemeldet sind und damit, wenn sie evangelisch sind, ja auch zu dieser Kirchengemeinde gehören.
Wie sieht dein Fazit nach 20 Jahren aus?
Die Arbeit als Klinikseelsorgerin hat mir all die Jahre viel Freude gemacht. Die Herausforderungen haben sich gewandelt. Dadurch ist es nie langweilig geworden, und das wird es auch in Zukunft sicher
nicht werden. Die Zusammenarbeit mit der Klinikleitung ist immer sehr gut gewesen. Das trägt natürlich dazu bei, dass man sich hier in der Seelsorge wirklich wohl fühlen kann. Die Rahmenbedingungen haben sich immer wieder geändert, aber die Gesprächsinhalte bleiben natürlich irgendwie gleich, gerade bei älteren Menschen, z.B. die Frage nach dem Glauben als Stütze oder wie kann ich mit Abschieden umgehen ohne zu verzweifeln?
Dann natürlich in der Forensik die Frage der Perspektive, habe ich überhaupt noch eine Chance, wieder ins Leben zu finden. Oder allgemein, eine wie große Belastung bin ich als kranker Mensch für mein Umfeld, will ich da noch leben, wenn ich die anderen Menschen nur belaste. All diese Fragen beschäftigen kranke Menschen auch weiterhin unabhängig davon, was sich immer wieder ändert. Da ist man einfach sehr nah an existentiellen Fragen dran, und das macht es auch immer wieder für mich selber bereichernd.
Welche Entwicklungen stehen für die Zukunft an?
Die Entwicklung geht dahin, dass die Tagesklinik-Patienten nicht mehr separat, sondern auf den Stationen versorgt werden. Das ist noch nicht umgesetzt, es wird aber in den nächsten ein, zwei Jahren so kommen. Außerdem möchte man die Menschen immer mehr ambulant in ihren eigenen vier Wänden versorgen, stationsäquivalente Behandlung nennt sich das.
Das können wir als Seelsorge aus personellen Gründen leider nicht begleiten. Auf den Stationen muss man sehen, wie weit die Menschen, die stationär behandelt werden müssen und die sehr krank sind, dann ansprechbar und erreichbar sind. Die Arbeit in der Neurologie und in der Palliativversorgung oder auch im Ethikkomitee bleibt oder wird eher noch mehr werden. Hier ist der Bedarf groß.
Vielen Dank für das Gespräch!
Petra Meyer ist Evangelische Pfarrerin, geboren und aufgewachsen in Garmisch-Partenkirchen, 60 Jahre, seit 2004 am kbo in Haar, davor Pfarrerin am Harthof im Münchner Norden
Das Interview führte Dr. Dietrich Keymer